Verfassungswidriger Entwurf des Islamgesetzes degradiert MuslimInnen zu BürgerInnen zweiter Klasse

5. Oktober 2014
Eine Stellungnahme der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ)

Der Entwurf des Islamgesetzes stellt einen Kahlschlag gegen die muslimische Zivilgesellschaft, eine entmündigende Bemächtigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft seitens des Staates und eine von Willkür geprägte und gesetzlich festgeschriebene Degradierung von MuslimInnen zu BürgerInnen zweiter Klasse dar.

Was uns als Maßnahmenpaket gegen Extremismus und als Stärkung der österreichischen Identität von MuslimInnen präsentiert wird, ist vielmehr der umfangreiche Versuch, den breiten Mainstream der MuslimInnen entweder unter Staatsaufsicht zu stellen, oder ihn in möglichst viele schwache und damit bedeutungslose Gruppen aufzuspalten. Zu unserem Entsetzen lässt die Schlussbestimmung (§23 Absatz 3) allen Vereinen, die sich in irgendeiner Art und Weise der Pflege der islamischen Lehre widmen, die Wahl zwischen

  1. Vereinsauflösung und Einordnung unter eine Islamische Glaubensgemeinschaft nach des Staates autoritären Vorstellungen,
  2. völligem Verzicht auf Religionspflege oder
  3. den Weg zu einer eigenen Bekenntnisgemeinschaft oder Religionsgesellschaft und damit einer Fragmentierung und Schwächung der MuslimInnen. Hierfür haben die Urheber des Entwurfes nochmal nachdrücklich gesorgt, indem sie anders als bei anderen Religionen eigene erleichterte Anerkennungsregelungen bei der Gründung neuer Religionsgesellschaften speziell für MuslimInnen geschaffen haben (vgl. §4 Abs. 1 IslamG-Entwurf zu §11 Ziffer 1 BekGG). Es stellt sich die Frage, inwieweit die jetzige Regierung tatsächlich religiös-neutral ist, wenn sie eine verfassungswidrige und diskriminierende Sonderbehandlung der MuslimInnen plant.

Eines ist klar: Der Entwurf will eine einseitig stärkere Islamische Glaubensgemeinschaft nur gegenüber MuslimInnen. Gegenüber dem Staat setzt er, im Vergleich zu anderen Religionsgesellschaften, hingegen auf Schwächung der Rechtsposition und Diskriminierung der seit 1979 bestehenden IGGiÖ. Ersteres drückt sich beispielsweise darin aus, dass die aufzulösenden Vereine samt ihrem Vermögen, ihren Rechten und Pflichten in die IGGiÖ eingegliedert werden sollen, dort aber bestenfalls den Status einer Kultusgemeinde erhalten. Dies ist aber nur dann möglich, wenn sie einerseits eine Mindestzahl an Mitgliedern aufweisen können, was beispielsweise im Israelitengesetz nicht verlangt wird. Andererseits muss die IGGiÖ eine "positive Prognose über die zukünftige Entwicklung" zu dieser abgeben, was ebenso ein willkürliches Unikat im österreichischen Religionsrecht ist. Dies öffnet Tür und Tor für Missbrauch, bei dem ausschließlich muslimische Vereine einem intransparenten Eignungstest unterzogen werden. Ganz generell wird die Position der Vereine, die zu Kultusgemeinden zwangsentstellt werden, massiv geschwächt. Ihre Rechte und Einrichtungen sollen sie in die IGGiÖ einbringen. Es steht ihnen aber nicht zu, über den Religionsunterricht in der Form mitzubestimmen, wie es israelitische Kultusgemeinden können. Weiters dürfen sie nicht, anders als im Israelitengesetz, Einfluss auf konfessionelle Privatschulen haben. Diese Tendenz mündet final im Anspruch des Staates, zu bestimmen, wer in den Moscheen und sonstigen Einrichtungen predigen darf. Ein solcher grob-verfassungswidriger Eingriff des Staates in "innere Angelegenheiten" einer anerkannten Religionsgesellschaft (Art 15 Staatsgrundgesetz) ist inakzeptabel, weil der jetzige Entwurf (§6 Abs. 2) nur aus dem Inland finanzierte Imame vorsieht, was von keiner anderen Religionsgemeinschaft in Österreich abverlangt wird. Wo diese ausgebildet werden sollen, beantwortet §15 des Entwurfes, der über das ab 2016 an der Universität Wien einzuführende Studium der "islamisch-theologischen Studien" spricht. Darin wird beispielsweise verankert, dass es zu diesem Zwecke "bis zu sechs Stellen für Lehrpersonal"  geben soll. Im Gegensatz zum Protestantengesetz werden nicht „sechs ordentliche Lehrkanzeln“ (Professuren samt wissenschaftlichem Personal) eingerichtet. Viel wichtiger ist noch, was in diesem Zusammenhang nicht geregelt wird. §15 des Islamgesetz-Entwurfes ist an §15 des Protestantengesetzes offensichtlich angelehnt, in dessen Abs 2 beispielsweise verlangt wird: „Die Mitglieder des Lehrkörpers der Evangelisch-theologischen Fakultät (...) müssen der Evangelischen Kirche angehören." Dass dies im Islamgesetz-Entwurf nicht vorausgesetzt wird, stellt eine weitere Diskriminierung dar. Darüber hinaus ist im Protestantengesetz das Recht auf eine "Evangelisch-theologische Fakultät" verankert, womit in Kombination mit der vorher genannten Bestimmung gesichert ist, dass die Inhalte der evangelischen Lehre wie auch die Personalentscheidungen in evangelischer Selbstverantwortung liegen. Folgt man §15 des Islamgesetz-Entwurfes, könnte man folgende obskure, aber dennoch realistische Vorstellung bekommen: Eine konfessionsfremde Fakultät der Universität Wien bestimmt das Curriculum der islamisch-theologischen Studien und stellt nichtmuslimisches Lehrpersonal an, das die zukünftigen Imame nach Gutdünken ausbildet. Der Islamischen Glaubensgemeinschaft bleibt lediglich eine „Stellungnahme vor Durchführung der Personalmaßnahme“. So weit sind nicht einmal die meisten kommunistischen Länder gegangen.

Weiters wurde von Religionsrechtsexperten kritisiert, dass die Alevitischen Religionsgesellschaften kein eigenes Gesetz erhalten. Das ist etwa so, als ob man versucht, Katholische und Protestantische Kirche zusammen mit einem Gesetz abzuspeisen.

In der Beziehung der IGGiÖ zum Staat sieht die Lage ebenso düster aus. Zunächst versuchen die Urheber des Entwurfes, die für alle anerkannten Religionsgesellschaften geltenden gesetzlichen Grenzen für freie Lehre und Bekenntnis (gemäß Art 15 StGG) speziell für MuslimInnen in verfassungswidriger Weise zu verschärfen (§2). Darüber hinaus werden Einschränkungen (in §4 Abs. 2) geschaffen, die bestimmen, wofür die IGGiÖ ihre Einnahmen und ihr privates Vermögen verwenden darf. In Absatz 3 wird weiters festgelegt, dass sie eine "positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat" haben muss. All dies sind Passagen aus dem Bekenntnisgemeinschaftengesetz,  die unter anderem vom Wiener Verfassungsjuristen Prof. Mayer wegen Unschärfe und damit Missbrauchspotential als verfassungswidrig bezeichnet wurden. Verletzt die IGGiÖ oder eine ihrer Kultusgemeinden eine dieser Bestimmungen, droht ihnen die Aufhebung der Anerkennung oder der Entzug der Rechtspersönlichkeit durch den Bundeskanzler (§5). Somit können die IGGiÖ und ihre Kultusgemeinden recht einfach unter Druck gesetzt und gefügig gemacht werden; eine Eventualität, um die sich beispielsweise die Katholische Kirche keine Sorgen machen muss, da es keine Regelung dieser Art für sie gibt.

Eine weitere Diskriminierung par excellence ist das Verbot der Finanzierung muslimischer Vereine und Moscheen aus dem Ausland. Um dies kontrollieren zu können, wird diesen Institutionen nichts anderes übrigbleiben, als ihre Finanzen offen zu legen. Eine solche Einsicht der Behörden gab es laut Prof. Potz von der Universität Wien seit dem NS-Kirchenbeitragsgesetz nicht mehr. Doch für die MuslimInnen scheint keine noch so strenge Überwachung schlecht genug zu sein.

Während man uns in den letzten Tagen und Wochen mit den verfassungsrechtlich ebenso problematischen Vorschlägen über Koran-Einheitsübersetzungen und der Deklarierung der islamischen Lehre beschäftigt und womöglich abgelenkt hat, wurden uns bis zum Schluss die skandalösesten Bestimmungen des Entwurfes und eine Diskussion darüber vorenthalten.

Die jetzige Version des Islamgesetzes stellt eine untragbare Diskriminierung von MuslimInnen dar. Hier wird massiv in die Autonomie- und Selbstverwaltungsrechte der MuslimInnen eingegriffen. Der Entwurf des Islamgesetzes ist ein gewaltiger Rückschritt ins staatskirchenhoheitliche 19. Jahrhundert und zementiert die rechtliche Ungleichstellung der MuslimInnen in Österreich!

Seit fast 20 Jahren sind die Jugendlichen der MJÖ stolze ÖsterreicherInnen, doch der jetzige Gesetzesentwurf stellt eine Degradierung der MuslimInnen zu BürgerInnen zweiter Klasse dar. Wir fordern eine faire und sachliche Gesetzgebung, die Österreichs MuslimInnen nicht diskriminiert! Weiters fordern wir eine Einbeziehung der MuslimInnen auf Augenhöhe und eine umfassende Überarbeitung des jetzigen Islamgesetz-Entwurfs!

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